
Das leere Sprechzimmer
„Das leere Sprechzimmer“, das Erinnerungsprojekt der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin, gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus in und außerhalb deutscher Sprechzimmer. Das Institut für Allgemeinmedizin war drei Jahre Kooperationspartner dieses Projekts. Insgesamt neun Kurzfilme mit unterschiedlichen Schwerpunkten konzipierte und setzte das Institut gemeinsam mit TITANFILM um. Die Filme erinnern an die im Nationalsozialismus in Deutschland verfolgten, vertriebenen und ermordeten jüdischen praktischen Ärzt*innen.
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Das leere Sprechzimmer
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurden jüdische und politisch andersdenkende praktische Ärzt*innen schrittweise aus ihren Sprechzimmern vertrieben [1,2]. Sie sollten durch sogenannte „arische“, möglichst nationalsozialistisch gesinnte „Jungärzte“ ersetzt werden [1]. Nach 1934 wurden auch verheiratete Hausärztinnen, deren Ehemänner die Familie allein ernähren konnten, sowie jene, die mit jüdischen Menschen verheiratet waren, sukzessive von einer Tätigkeit in der Kassenarztpraxis ausgeschlossen [1]. Die ärztliche Standesvertretung spielte bei dieser Verdrängung eine maßgebliche Rolle. Praktische Ärzt*innen profitierten von der Verfolgung ihrer Kolleg*innen durch freiwerdende Kassensitze, Praxis – und Wohnungseinrichtungen, die zu Schleuderpreisen verfügbar waren [3]. Zwischen 1933 und 1945 wurden sowohl in der ambulanten Versorgung als auch an Universitäten jüdische Ärztinnen und Ärzte systematisch ausgegrenzt, vertrieben, verfolgt und ermordet [3,4]. Die ersten sechs Filme vertiefen die Geschichte dieser grausaumen Vertreibung. Die Geschichte des Holocaust endet jedoch nicht 1945: Menschen wurden ermordet, Familien zerstört – berufliche Biografien unwiderbringlich verändert. Die Kurzfilme 7-9 schaffen Aufmerksamkeit für die Geschichte jüdisch-praktischer Ärzt:innen nach 1945. So erzählt Sylvia Kollmann die Geschichte ihres Vaters, der als praktischer Arzt jüdischer Herkunft zu Zeiten des NS seine Heimatstadt Wien verlassen musste und in den USA eine Zuflucht fand. Im letzten Film reflektieren Menschen aus der Mitte der Fachgesellschaft ihre persönlichen, familienbiographischen Bezüge zum Holocaust.
Wir möchten Sie herzlich einladen, sich das Produkt dieses intensiven und interdisziplinären Austausches anzusehen.
Ihr Christoph Heintze
Literatur:
- Hahn J, Schwoch R. Anpassung und Ausschaltung. Die Berliner Kassenärztliche Vereinigung im Nationalsozialismus. Berlin: Hentrich & Hentrich, 2009.
- Gerst T. Vor 80 Jahren: Ausschluss jüdischer Ärzte aus der Kassenpraxis. Dtsch Arztebl 2013; 110(16): A-770 / B-671 / C-671.
- Schwoch R. Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag, 2018.
- Schwoch R (Hrsg.) Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Berlin und Teetz: Hentrich & Hentrich Verlag, 2009.
- Nathorff H. Das Tagebuch der Hertha Nathorff. Berlin – New York. Aufzeichnungen von 1933 bis 1945. Herausgegeben und eingeleitet von Wolfgang Benz. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 1989.
Das Projekt erfuhr zu allen Zeitpunkten umfassende Unterstützung. Ein besonderer Dank gilt jedoch:
Ohne die Förderung durch die Stiftung Charité wäre die finanzielle Umsetzung der Filme 1-6 nicht möglich gewesen. Die DEGAM hat in den Folgejahren alle weiteren Projekte des leeren Sprechzimmers vollumfänglich und aus eigener Kraft finanziert. Dies gilt insbesondere für die Filme 7-9. Mario Spiegel (TITANFILM) und sein Team steuerten nicht nur wichtige Impulse zur künstlerischen Umsetzung bei, sie machten die Umsetzung in jeder Hinsicht überhaupt erst möglich. Insbesondere Philip Neugebauer begleitet das Projekt jetzt schon im dritten Jahr „in Bild und Ton“: Bei den ersten Filmen unterstützte der GeDenkOrt.Charité das Projekt durch Beratung und Hilfe bei den Räumlichkeiten. Auf der Basis des Tagebuches der Berliner Ärztin Hertha Nathorff, der medizinhistorischen Arbeiten von PD Dr. phil. Rebecca Schwoch (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Hamburg), Dr. phil. Judith Hahn (Medizinhistorisches Museum, Berlin) und der wissenschaftlichen Beratung durch Florian Bruns (Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Dresden) konzipierte Sandra Blumenthal das Drehbuch für die Produktion von sechs Kurzfilmen. Neben Mitarbeiter*innen des Berliner Instituts waren die engagierten Schauspieler*innen der DESAM-Nachwuchsakademie Melanie Wolf, Anna Teegelbekkers und Meinert Ehm das Herzstück der ersten sechs Filme und gaben den Personen ihr Gesicht und ihre Stimme. Hélène Hauch lieh Edith Dorothea Goldschmidt ihre Stimme in Film 7, In den Filmen 8-9 erzählte neben Christoph Heintze, Anja Paulsen-Stock, Hannes Stock, Sandra Blumenthal und Thomas Maibaum vor allem Sylvia Kollmann mit aller Offenheit die Geschichte ihrer Familie. Hélène Hauch lieh Edith Dorothea Goldschmidt ihre Stimme in Film 7.